Wie wirken sich lösungsorientierte Beiträge auf die Monetarisierung im Journalismus aus?
Die Rheinische Post und das Bonn Institute haben untersucht, wie sich eine lösungsorientierte Berichterstattung auf die Nutzung von Lokaljournalismus auswirkt.

Die technologische Komponente bei der digitalen Transformation von Verlagen spielt eine wichtige Rolle, da sie Redaktionen ermöglicht, Ressourcen für bessere Inhalte freizusetzen. Aber weniger IT bedeutet nicht automatisch besseren Content. Neue Formate und Herangehensweisen im Journalismus müssen ständig geprüft und manchmal auch neu erfunden werden.
Von Mai bis November 2022 begleitete das Bonn Institute die Rheinische Post in Mönchengladbach intensiv und untersuchte die Effektivität des sogenannten „konstruktiven Journalismus“ bei der Leserbindung durch Redaktions-Workshops, gemeinsame Themenfindung, Coaching und Messung des Nutzungsverhaltens. Ein umfangreicher Werkstattbericht liefert Einsichten in das spannende Projekt.
Die Frage: Wirken sich lösungsorientierte Ansätze im Journalismus günstig auf dessen Monetarisierung aus?
Was ist „konstruktiver Journalismus?“
„Klassischerweise hört Journalismus da auf, wo ein Problem ausreichend benannt oder beschrieben ist“, schreibt Autorin Lisa Urlbauer im Werkstattbericht. Konstruktiver Journalismus gehe hier einen Schritt weiter und berichte auch über Lösungsansätze für gesellschaftliche Probleme.
„Konstruktiver Journalismus zielt darauf ab, Mediennutzenden ein zukunftsorientiertes, faktenbasiertes und nuanciertes Bild der Wirklichkeit zu vermitteln. Indem er Lösungsansätze genauso sorgfältig recherchiert wie Probleme, wirkt er einer einseitig negativen Weltsicht entgegen und stärkt durch das Aufzeigen von Handlungsoptionen bei Mediennutzenden das Gefühl der Selbstwirksamkeit. Indem er bewusst auf Vielfalt und unterschiedliche Perspektiven setzt, reflektiert er die Welt in ihrer ganzen Komplexität und wirkt übermäßiger Vereinfachung und Polarisierung entgegen. Und indem er die Rolle von Journalistinnen und Journalisten als Moderatoren eines öffentlichen konstruktiven Dialogs neu definiert, öffnet er neue Möglichkeiten für bessere Gespräche in unserer Gesellschaft.“
Pilotprojekt mit der Rheinischen Post in der Lokalredaktion Mönchengladbach
1946 in Düsseldorf gegründet, ging die Rheinische Post bereits vor 27 Jahren mit rp-online.de online. Wenig überraschend stehen digitale Angebote im Fokus der Redaktion. „Die Rheinische Post zählt knapp 60.000 zahlende Digital-Abonnenten und ist eines der meistzitierten deutschen Regionalmedien“, heißt es im Werkstattbericht. Für das Experiment wurde die Lokalredaktion Mönchengladbach ausgewählt, deren Ausgabe mit 25.945 Exemplaren die zweitgrößte der Rheinischen Post ist.
Schon vor dem Projektstart mit dem Bonn Institute wurden in der Redaktion in Mönchengladbach die größten Probleme der Stadt diskutiert. Für das Experiment wurde das Thema Innenstadtentwicklung gewählt. „Die Situation in den beiden Stadtkernen wird von der Bevölkerung im Hinblick auf Themen wie Sauberkeit, Sicherheitsgefühl, Aufenthaltsqualität und Verkehrsbelastung kritisiert.“
So entwickelte die Redaktion lösungsorientierte Geschichten
Vier Schritte sind für die Entwicklung konstruktiver Lösungsgeschichten vorgesehen:
1. Was ist das Problem? Thema „Innenstadtentwicklung“
2. Definition von Unterthemen: Handel, Sicherheit, Verkehr, Gestaltung und Wohnen.
3. Recherche wichtiger Aspekte der Unterthemen: Leerstand, fehlender Wohnraum, Jugendkriminalität oder Verschmutzung usw.
4. Wer macht es besser und was können wir daraus lernen? Wiesbaden, Würzburg, Bohmte, Duisburg, Wuppertal, Neuss, Monheim, Freiburg, Bremen, Köln, Essen, Roermond, Venlo, Krefeld, Chiemgau und Hamburg
Recherche und Überprüfung
Um Lösungsansätze zu finden, nutzte die Redaktion eher selten verwendete Quellen. Dazu gehören Thinktanks, Forschende an Hochschulen, Datenbanken, Studien und Innovationsnetzwerke.
Gerade im Lokaljournalismus ist die Nähe zu den Menschen entscheidend. Im Gespräch mit bereits bekannten Ansprechpersonen sowie Expert:innen bietet es sich daher an, über gezielte Fragen mögliche Lösungsansätze zu identifizieren. Auch das Gespräch mit denjenigen, die von bestimmten Lösungsansätzen profitieren, lohnt sich – vor allem für die folgende Überprüfung.
Es „gehe nicht darum, über innovative und inspirierende Ideen zu berichten, sondern über solche, die bereits implementiert wurden und deren Erfolg überprüft werden kann. Diese Überprüfung kann quantitativ mit Zahlen und Daten erfolgen – zum Beispiel, wenn es Erhebungen gibt, die einen Lösungsansatz begleiten. Die Wirksamkeit kann aber auch qualitativ belegt werden – etwa durch Interviews mit Menschen, die von dem Lösungsansatz profitieren sollen. Oder durch Gespräche mit unabhängigen Expertinnen und Experten.“
Ergebnisse zeigen eine verbesserte Leser:innenbindung
Die Rheinische Post Mönchengladbach veröffentlichte im Testzeitraum 20 Abo-Artikel „unter Berücksichtigung der Qualitätskriterien des Lösungsjournalismus (Problem, Evidenz, Grenzen, Übertragbarkeit).“ Den Anspruch repräsentativer Forschung erfüllt das Projekt damit zwar nicht, aber es liefert allemal interessante Indizien, vor allem für die langfristige Bindung von Abonnent:innen.
Das Engagement war im Schnitt dreimal so hoch wie bei allen anderen Paywall-Artikeln im Versuchszeitraum. Leserinnen und Leser der Projektartikel wiesen fast viermal mehr Sitzungen auf.
Die Verweildauer der Leserinnen und Leser der Projektartikel stieg um 27 Prozent, und sie lasen die Artikel im Durchschnitt etwa neun Prozent länger als alle anderen Paywall-Artikel.
Inhaltliche Qualität ist ein wichtiger Faktor für den Verbleib von Abonnent:innen. Wenn das Engagement von Leserinnen und Lesern steigt, wird auch eine Kündigung unwahrscheinlicher. In diesem Sinne wirkt sich das Experiment „konstruktiver Journalismus“ offenbar positiv auf die Monetarisierung im Journalismus aus.
Aber es handelt sich dabei keinesfalls um eine „Silver Bullet“ für die Monetarisierungsbemühungen von Verlagen, betont der Bericht: „Die lösungsorientierten Inhalte hatten keinen positiven Einfluss auf Reichweite und Konversionen“.
Eine Strategie für Konversionen im Lokaljournalismus – übrigens nicht weniger aufwendig – zeigt das Beispiel der betreuten Märkte bei FUNKE Niedersachsen.
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