Verlagsbranche 2023: Wenig Zuversicht für ein von KI geprägtes Jahr
News-Müdigkeit und steigende Kosten dämpfen die Vorfreude der Publisher auf dieses Jahr. Aber sie sehen auch Chancen.

Auch das Jahr 2023 wird viele Herausforderungen für Verlage beinhalten. Damit begrüßen wir Sie herzlich zur ersten Ausgabe unseres Publisher Updates in diesem Jahr.
Unzählige Trend-Voraussagen wurden für dieses Jahr bereits getätigt. Wir haben einige der wichtigsten Kernaussagen der Medienprofis für 2023 für die Bereiche Technologie und Strategie zusammengefasst.
Unsichere Aussichten
2023 wird ein Jahr der Unsicherheiten. Nur 44 Prozent der vom Reuters Institute befragten Medienleute sehen die Geschäftsaussichten für dieses Jahr positiv. 19 Prozent der Befragten sind sogar wenig zuversichtlich. Woran liegt das?
„Die Ausgaben der Werbekunden sind unberechenbar“, gibt ein digitaler, werbefinanzierter Nachrichtendienst aus den USA an. „Die Einnahmen aus dem Vertrieb sind rückläufig. Traditionelle Social-Media-Akteure, die gerade erst begonnen hatten, ihre Unberechenbarkeit zu zügeln, sind implodiert - Meta am stärksten, Twitter am spektakulärsten. Das unklare Bild macht es schwierig zu planen. Und der Nachhall der Pandemie - die noch immer nicht vorbei ist - hat die Nerven strapaziert.“
Die größten Sorgen bereiten den Publishern die steigenden Kosten (etwa für Druck und Logistik), das geringere Interesse der Werbetreibenden und der Rückgang von Abonnements. Viele Print-Angebote werden in diesem Jahr eingestellt, so die Prognosen. Gleichzeitig steigt die News-Müdigkeit der Menschen, unter anderem aufgrund der andauernden Flut von negativen Nachrichten in den letzten Jahren.
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Kundenbeziehungen & Social Media stärken
Der Fokus vieler Verlage liegt deshalb in diesem Jahr auf der Gewinnung von Abonnent:innen und der Verbesserung der Kundenbeziehung. Rund 68 Prozent der Befragten bei Reuters sind zuversichtlich, dass Paid Content in diesem Jahr wächst. FUNKE Niedersachsen hat etwa bereits im letzten Jahr ein Datenprojekt für lokale Märkte durchgeführt und verfolgt eine klare „Abo vor Reichweite“-Strategie. In unserem kommenden Januar-Webinar „Das perfekte Gleichgewicht zwischen Reichweite und Abo“ stellt Geschäftsführerin Tatjana Biallas die Erkenntnisse aus dem Projekt und die Lehren daraus vor.
Reuters sagt eine Veränderung im Social-Media-Bereich voraus. Facebook und Twitter verlieren demnach deutlich an Bedeutung, während sich Verlage und Publisher mehr in Richtung TikTok, Instagram und YouTube orientieren. „Social Video wird zunehmend zum Ort, an dem die Suche beginnt – oder noch extremer: Inspiration gefunden wird, obwohl man gar nicht weiß, dass man danach auf der Suche war“, skizziert Strategieberater Konrad Weber die Entwicklung.
Das bedeutet jedoch nicht, dass „alte“ Social-Media-Kanäle ignoriert werden sollten: „Wir müssen über jede Plattform und ihre Rolle in der Publikumsreise nachdenken und anerkennen, dass es mehrere Berührungspunkte gibt, darunter soziale Netzwerke, Newsletter, Podcasts, Videos und Websites. Und wir müssen eine ganzheitliche Publikumsstrategie haben und verstehen, wie wir unsere Marken und Geschichten über diese Berührungspunkte hinweg fördern können“, erklärt Sarah Marschall von Condé Nast.
Kurze, aber auch längere, gehaltvollere Videos werden zu einem Kernbereich der Content-Produktion. Außerdem wollen viele Medien mehr Ressourcen in Podcasts und digitale Audioangebote verlagern. Newsletter bleiben ebenfalls ein Trend.
Einnahmen diversifizieren
Zusätzliche Produkte und Produktkategorien abseits von reinen Inhalten werden zunehmend wichtiger. Im Digital News Publishing Barometer 2022 sagt der Geschäftsführer eines großen deutschen Verlages: „Wenn Paid Content vielleicht zwei Prozent Abo-willige Leserinnen und Leser meiner Zielgruppe erreicht, dann muss ich doch auch die anderen 98 Prozent erreichen. Das Wesentliche ist, dass man den Kunden in den Mittelpunkt der Überlegungen stellt. Es ist falsch zu sagen: Wir sind ein Zeitungshaus, wir müssen jetzt ganz dringend Content verkaufen. Damit mache ich mein Problem, nämlich, dass ich den Content teuer produziert habe, plötzlich zum Problem des Kunden.“
Stattdessen müsse man sich fragen, was Leser:innen für Bedürfnisse oder Probleme haben und wie man es lösen könne. „Wenn [das] Thema [des Kunden] Computerspiele sind und er günstig darankommen will, dann kann ich ihm dabei vielleicht helfen und ein Geschäftsmodell daraus machen, auch wenn er vielleicht nie auf die Idee kommen würde, ein News-Abo bei mir abzuschließen.“ Die Einnahmen zu diversifizieren ist sowohl Ziel als auch Herausforderung für Publisher in diesem Jahr.
Von Cookies zur Community
Datenorientiertes Arbeiten wird immer wichtiger – Datenschutz allerdings auch. Die Tage der Third-Party-Cookies scheinen gezählt und Publisher müssen andere Wege finden, um Daten für ein verbessertes Angebot nutzen zu können. Personalisierte Werbung stößt zunehmend auf Ablehnung bei Leserinnen und Lesern. Trotzdem wollen Verlage ihr Angebot künftig mehr personalisieren, etwa in individuellen Feeds oder über Inhaltsausspielung, die exakt auf Interessen zugeschnitten ist. Allerdings hinkt die Branche den großen Tech-Plattformen hier um Jahre hinterher.
Personalisierung wird die Herausforderung der Zielgruppendefinition und -ansprache zudem nicht lösen. Verlage, die auch junge Leser:innen gewinnen wollen, müssen sich direkt mit diesen Menschen auseinandersetzen und in Kontakt kommen. „Um ein jüngeres Publikum etwa für den Wissenschaftsjournalismus zu begeistern, müssen Nachrichtenorganisationen mit ihnen sprechen, um herauszufinden, was ihre Neugierde weckt“, schreibt Martina Efeyini für das Nieman Journalism Lab.
Und dann stellt sich die Frage, ob Zielgruppen nach der klassischen Definition überhaupt noch taugen und der Community-Aufbau nach Vorbild von Influencern und der Creator-Economy nicht nachhaltiger ist. „Für einige Medien wird das Geschäft mit regelmäßigen Nachrichten weiterhin wichtig sein. Die große Mehrheit wird jedoch keinen Erfolg haben, wenn sie Algorithmen den Vorrang geben, anstatt eine tiefere Beziehung zu ihren Lesern aufzubauen“, schreibt der Medienanalyst Mauricio Cabrera.
Wie der Tagesspiegel in Berlin mit einem Planspiel in öffentlichen Bibliotheken die Lokalpolitik erklärt und so die Bindung zu den Leser:innen stärkt, haben wir im letzten Publisher Update beschrieben.
Trendthema KI nimmt so richtig Fahrt auf
2023 könnte den Durchbruch Künstlicher Intelligenz in die Redaktionen bringen. Populäre Tools wie ChatGPT zeigen, dass komplexe Sprachmodelle erhebliches Potenzial besitzen und von allen Menschen eingesetzt werden können. „Auch wenn sich das wahre Potenzial erst erahnen lässt, sehen einige Beobachter:innen darin den Anfang einer KI-Revolution. Diese werde die Wissensarbeit ähnlich disruptieren, wie im 18. Jahrhundert die mechanischen Maschinen die Fabrikarbeit grundlegend verändert haben“, schreibt Strategieberater Weber.
Allerdings ist KI derzeit kein Ersatz für Redakteur:innen, wie aktuelle Berichte über grobe inhaltliche Schnitzer in KI-generierten Texten zeigen. Ein verantwortungsvoller Umgang mit den Tools ist geboten, vor allem wenn wir bedenken, dass das Vertrauen in News-Magazine nicht überall hoch ist und vielfach sogar im Rückgang begriffen. „Es ist wahrscheinlich besser, diese Tools als interne Redaktionswerkzeuge zu betrachten, die Reportern und Redakteuren Vorschläge machen, als Texte zu erstellen, die direkt veröffentlicht werden“, beschreibt Nicholas Diakopulos von der Northwestern University die Chancen.
KI könnte etwa lokalen Redaktionen, die oft unterbesetzt sind, bei Routineaufgaben oder strukturierten Vorgängen helfen. In größeren Medienhäusern werden Börsen- und Sportnachrichten bereits maschinell erstellt – ähnliches ist für die Zusammenfassung eines Protokolls der Gemeinderatssitzung denkbar. KI kann dabei oder etwa bei der Transkription von Interviews viel Zeit sparen.
Künstliche Intelligenz wird also zunehmend unterstützen, inspirieren und effizienter machen – eine reine KI-Redaktion ohne Prüfung durch Menschen wird voraussichtlich auf absehbare Zeit seriös kaum möglich sein.
Kulturell soll sich ebenfalls etwas ändern, prognostiziert Paul Cheung vom Center for Public Integrity. „Im Jahr 2023 werden immer mehr Nachrichtenorganisationen erkennen, dass es bei ihrem Geschäft um Wirkung und Einfluss geht, nicht um Aufmerksamkeit. [Sie] werden sich als Social-Impact-Unternehmen positionieren, während sie sich in ihrer täglichen Arbeit an journalistische Werte halten.“
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