Paradigmenwechsel und Qualität als Erfolgsfaktor im Online-Journalismus
Wie hat es die unabhängige Nachrichtenseite Mediapart geschafft, zweistellige Millionenumsätze ganz ohne Werbung zu erzielen? Außerdem: 12 Paradigmen für erfolgreichen Online-Journalismus.

Auf den Inhalt kommt es an: Die Erfolgsgeschichte einer News-Seite ganz ohne Werbung
Die unabhängige französische Nachrichtenseite Mediapart erreichte 2021 durchschnittlich 6,5 Millionen Besucher:innen pro Monat und erwirtschaftete Einnahmen in Höhe von 21,3 Millionen Euro – und das völlig ohne Werbung oder Subventionen. Wie haben sie das geschafft?
Seit dem Start von Mediapart im Jahr 2008 stellen die sechs Gründer:innen, darunter Edwy Plenel, ehemaliger Chefredakteur der Tageszeitung Le Monde, ihre Leser:innen in den Mittelpunkt. Inhaltlich konzentriert sich die Redaktion auf investigative Artikel mit Tiefe zu Themen des öffentlichen Interesses.
Dazu gehörte etwa die Recherche zur Woerth-Bettencourt-Affäre im Jahr 2010 - ein Skandal von nationaler Tragweite. Mediapart veröffentlichte geheime Aufnahmen, die Interessenkonflikte zwischen dem damaligen Arbeitsminister Eric Woerth und der Milliardärin und Eigentümerin von L'Oréal, Liliane Bettencourt, aufdeckten. Diese investigative Arbeit markierte einen Wendepunkt für Mediapart – die Abonnentenzahlen gingen durch die Decke. Das Beispiel zeigt, dass Paid Content funktionieren kann, vorausgesetzt die Inhalte sind exklusiv, besonders hochwertig und relevant.
Neben den hohen journalistischen Qualitätsstandards und der gesellschaftlichen Relevanz gibt es noch weitere Gründe für den Erfolg von Mediapart: die Unternehmenskultur, die auf Kollaboration in allen Bereichen setzt. An der Redaktionssitzung von Mediapart können alle Mitarbeiter:innen teilnehmen, auch die Technik- und Marketingteams. Jeder darf sich zu Wort melden, wenn er Ideen, Einwände oder Kritik hat.
Dieser Community-Gedanke spiegelt sich auch im kollegialen Umgang wider. Journalist:innen bewerben auf Social Media die Arbeit anderer Redaktionsmitglieder und feiern ihre Erfolge. Und sie arbeiten bei Recherchen zusammen: "Was mich von Anfang an beeindruckt hat, war, dass jeder Journalist mindestens einen Artikel gemeinsam mit jedem anderen Redaktionsmitglied verfasst hat", sagt Stéphane Alliès, Redaktionsleiter von Mediapart. "Wir verteidigen einen kollektiven Ansatz bei unserer Arbeit, weil wir wissen, dass Solo-Recherchen zu Fehlern führen können."
Die Journalist:innen von Mediapart zögern auch nicht ihre Arbeit öffentlich zu verteidigen und argumentieren, dass Kritik aus der Politik ein Beweis für die Unabhängigkeit ihrer journalistischen Arbeit sei. Dabei lassen sie sich auch nicht von Klagen und teuren Rechtsstreits einschüchtern. Das schafft Vertrauen beim Publikum.
Auch der Austausch mit dem Publikum hat einen besonders hohen Stellenwert. Das "part" in ihrem Namen steht für "participatif" und unterstreicht, dass Mediapart ein interaktives Medienunternehmen sein möchte. Mediapart ist eine der letzten großen Nachrichtenseiten in Frankreich, die ihren Leser:innen erlaubt, Beiträge frei zu kommentieren. Die Abonnent:innen können darüber hinaus Blog-Beiträge im "Club"-Bereich der Website verfassen. Durchschnittlich erscheinen dort 100 Artikel pro Tag, was etwa 20 Prozent des gesamten Besucheraufkommens ausmacht.
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Dieser interaktive Umgang mit dem Publikum hat auch Nachteile, etwa weil sich die Berichte der Journalist:innen manchmal nur schwer vom User-Blog unterscheiden lassen, in dem hin und wieder Verschwörungstheorien auftauchen. Mediapart nimmt dieses Problem ernst und überprüft die Leserbeiträge. Zusätzlich organisiert Mediapart einmal im Monat einen Online-Austausch mit seinem Publikum. Während der Events beantworten die Journalist:innen die Fragen der Leserschaft live vor der Kamera.
Der Kollaborationsgeist von Mediapart beschränkt sich nicht auf die Leserschaft und das Team. Um wettbewerbsfähig zu bleiben und mehr Ressourcen nutzen zu können, geht das Medienunternehmen gezielte Partnerschaften mit ausländischen und lokalen Nachrichtenagenturen ein und veröffentlicht Recherchen auch auf Englisch und Spanisch.
Lest die ganze Story hier: How France’s Mediapart Built a Successful News Model Around Investigative Journalism
Digitaler Journalismus: 12 Paradigmen für den Erfolg
James Breiner, Medienberater für unternehmerischen Journalismus, identifiziert in einem Blog-Beitrag elf Paradigmen für erfolgreichen Online-Journalismus, die auf zwei großen Branchen-Trends basieren:
1. Verlage stellen sich auf ihre Nutzer:innen ein und wenden sich von Anzeigenkunden und Investoren als Hauptfinanzierungsquelle ab.
2. Nachrichtenunternehmen setzen noch stärker auf Glaubwürdigkeit und Transparenz, die in Zeiten von Fake News wichtiger sind als je zuvor.
Wir stellen die 11 Paradigmen von Breiner vor und ergänzen die Liste um einen weiteren Punkt:
Community zuerst: Breiner empfiehlt Nachrichtenorganisationen, sich auf Community-Building zu konzentrieren, das qualitativ hochwertige Inhalte und die Bedürfnisse des Publikums auf sozialer, intellektueller und emotionaler Ebene in den Mittelpunkt stellt.
Das Publikum priorisieren, nicht die Interessen der Werbekunden und Investoren: Die Inhalte und Sponsoring-Botschaften orientieren sich an den ethischen und sozialen Werten der Nutzer:innen, nicht an Werbekunden und Investoren.
Qualitative Beziehung zur Leserschaft wichtiger als schnelles Wachstum: Der entscheidende Maßstab ist nicht die Größe der Leserschaft, sondern wie Journalist:innen mit ihrer Community interagieren und auf deren Bedürfnisse eingehen.
Qualitative Inhalte mit Kontext: Anstatt das Publikum mit den Nachrichten zu versorgen, über die auch alle anderen Medien berichten, ist der Fokus auf "langsame News”, die Erklärungen, Zusammenhänge und Analysen bieten, vielversprechend. Als Beispiel nennt Breiner “De Correspondent of Holland”, das sich auf "Slow News" spezialisiert.
Öffentliches Interesse wichtiger als Unternehmensgewinne: Digitale Nachrichtenunternehmen produzieren investigative Berichte, die wirtschaftliche und politische Interessen hinterfragen. Hier nennt Breiner Mediapart und eldiario.es aus Spanien als positive Beispiele.
Soziales Kapital erschließen: Digitalen Medien fehlt es oft an finanziellen Ressourcen. Sie müssen neue Wege finden, um ihr soziales Kapital zu monetarisieren. Nur so können unabhängige Nachrichtenunternehmen Zuwendungen und Investitionen auf Grundlage von inhaltlicher Glaubwürdigkeit, des Rufs ihrer Journalist:innen und guter Kontakte zu anderen Medien- und Gemeinschaftsorganisationen erhalten.
Mitglieder statt “Abonnent:innen”: Die Menschen, die ein Nachrichtenunternehmen mit Geld unterstützen, kaufen nicht nur qualitativ hochwertige Informationen, sondern fördern die jeweilige Mission von Publishern, die Dienstleistungen für eine bestimmte Community bereitstellen. Ob sie nun Partner, Mitglieder, Freunde, Unterstützer, Sponsoren oder wie auch immer genannt werden ist nicht entscheidend. Wichtig ist, dass sie das Rückgrat vieler serviceorientierter Medien bilden. Das Membership Puzzle Project zeigt über 100 Beispiele.
Nische statt Masse: Themen und Zielgruppen, die sonst oft vernachlässigt werden, können sehr erfolgreich sein. Dazu gehören etwa Bereiche wie Menschenrechte, Gesundheit, Umwelt, Gender, Innovation und Wissenschaft. Breiner nennt Perspective Daily als positives Beispiel, das bisher 13.000 zahlende Abonnent:innen gewinnen konnte.
Renaissance von E-Mail-Newslettern und Blogs: Der Vorteil personalisierter Medien sei, dass sie von Google und Facebook abgekoppelt werden können. “TheSkimm” und “Business of Fashion” nennt Breiner als Beispiele für Medien, denen das gelungen ist.
Innovative Story-Formate, die durch neue Technologien entstehen: Viele dieser Formate beruhen auf kostenlosen oder kostengünstigen Technologien, die die Organisation und Auswertung großer Datenbanken ermöglichen. Das argentinische Unternehmen Linguoo begann etwa als Nachrichtenlesedienst für Blinde und hat sein Angebot nun auf andere Audio-Services ausgeweitet.
Zusammenarbeit statt Wettbewerb: Als positives Beispiel für Kollaboration unter Nachrichtenunternehmen nennt Breiner Ojo Publico aus Peru, das vier weitere Publikationen in seine Recherche über den Diebstahl von Tausenden Kunst- und Kulturgegenständen aus Lateinamerika einbezogen hat.
Hier gehts zum Blogbeitrag: Two trends that are driving new business models
Wir ergänzen diese Liste um den wichtigen Punkt “Digitale Transformation”: Bei Publishern ist eine Transformation des Denkens entscheidend, um zukunfts- und wettbewerbsfähig zu sein: „Digital First“ darf nicht nur Slogan sein, sondern muss zur Verlags-DNA werden. Viele technische Insellösungen und veraltete Systeme kosten viel Arbeitszeit, sind wartungsintensiv und teuer. Eine effiziente Publishing-Infrastruktur macht hingegen Ressourcen frei, die in der Redaktion für die eigentliche Wertschöpfung verwendet werden können: Mehr Content, weniger IT.
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