Journalismus & Entwicklungen im Publisher-Markt 2022: Prognosen für den Newsroom
Das Nieman Journalism Lab der Harvard University hat führende Journalisten und Medienschaffende nach ihren Prognosen für 2022 befragt. Wir fassen die wichtigsten Themen im aktuellen Publisher-Update zusammen.

Innovative Wachstumsstrategien für das Abonnentengeschäft
Chase Davis, stellvertretender Chefredakteur im Bereich Digitalstrategie und Technologie bei Star Tribune in Minneapolis, sieht das Jahr 2022 vor allem als eine Bewährungsprobe für das Abonnentengeschäft. “Von Netflix über die New York Times bis hin zu vielen Lokalredaktionen hat sich das Wachstum von digitalen Abonnements im Jahr 2021 verlangsamt”, erklärt er. Nach einem sehr ereignisreichen Jahr 2020 mit Rekordumsätzen verzeichneten Verlage 2021 deutlich weniger Wachstum in diesem Bereich. In diesem Jahr werde sich laut Davis entscheiden, wie beständig die aktuellen Abonnementstrategien wirklich sind. “Dann werden wir wissen, ob 2021 nur ein Ausrutscher war oder unsere neue Realität”, so Davis. “Wir werden besser verstehen, was die einzelnen Märkte verkraften.”
Aber er sieht auch positive Aspekte: Das langsame Wachstum im Abonnentenbereich sei zwar nicht gut für kurzfristige Umsatzziele, aber es könnte auch die Chance bieten, Inhalte noch stärker auf die Bedürfnisse der Leser:innen auszurichten, qualitativ zu verbessern und innovative Wachstumsstrategien zu entwickeln.
Mehr zum Thema: Digital subscriber growth will slow, but that won’t be all bad
Investition in neue Produkte und das operative Geschäft machen Publisher zukunftsfest
Paul Cheng, CEO des Center for Public Integrity, empfiehlt News-Publishern im Jahr 2022 nicht auf neue Geschäftsmodelle, sondern sich auf die bestehende Geschäftsinfrastruktur und das operative Geschäft zu konzentrieren. Der Fokus auf Produktentwicklung sei dabei besonders wichtig.
Besonderes Potenzial sieht er in inklusivem Journalismus. Im vergangenen Jahr habe Public Integrity stark in die Zusammenarbeit mit BIPOC-Nachrichtenorganisationen (Black, Indigenous People of Color) intensiviert. Im Jahr 2022 würden mehr Nachrichtenorganisationen, vorwiegend aber gemeinnützige Organisationen, ihre Berichterstattung um die Perspektive diverser Communitys erweitern.
Ein weiterer wichtiger Punkt im Jahr 2022 ist für Cheng die Investition in das operative Geschäft. “Bei einigen der erfolgreichsten Nachrichtenorganisationen gibt es Positionen wie Head of Partnerships, Chief Strategy Officer oder Head of Culture. Sie haben verstanden, dass großartiger Journalismus allein nicht ausreicht, um ein Medienunternehmen zukunftsfest zu machen,” sagt Cheng. In 2022 werden Publisher daher mehr in das operative Geschäft und Technologien investieren, um Reichweiten zu steigern und besser zu verstehen, wie das Publikum mit ihren Inhalten interagiert.
Eine effiziente Cloud-IT-Infrastruktur ist dabei für Verlage von besonderer Bedeutung, denn sie setzt Ressourcen für gezielte Produktentwicklung frei.
Mehr zum Thema: Business infrastructure, not business models
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Entscheidung für Remote Work: Wird Flexibilität endgültig etabliert?
Für Rachel Glickhouse, leitende Projektmanagerin bei News Revenue Hub, steht primär das Thema Remote Work im Vordergrund. “2022 entscheidet sich, ob Fernarbeit und flexible Arbeitszeiten in der Nachrichtenbranche auch in Zukunft möglich sind, sowohl in nationalen als auch globalen Redaktionen,“ so Glickhouse. “Das ist unsere letzte Chance, Lehren aus der Pandemie zu ziehen und neue Standards einzuführen, um Mitarbeiter:innen Flexibilität bei der Wahl des Arbeitsortes und der Arbeitsweise zu geben.“ Für Glickhouse bedeutet Remote Work auch die Chance, für mehr Diversität in Redaktionen zu sorgen und gegen einseitigen Journalismus vorzugehen.
Auch Mandy Jenkins, Leiterin der Produktabteilung bei Factal, sieht viele Vorteile im Remote Work – sofern sich Mitarbeitende im Homeoffice gut organisieren. “Ein gut ausgestatteter eigener Arbeitsbereich hatte einen großen Einfluss auf meine Konzentration und Produktivität,” erklärt sie. “Außerdem ist ein fester Zeitplan wichtig ist, um mental fit zu bleiben. Zu Hause lässt man sich leicht dazu verleiten, unnötige Überstunden zu machen.” Deshalb empfiehlt sie: “Raus aus dem Haus! Gehen Sie spazieren oder machen Sie einen Online-Fitnesskurs. Ich verbringe jeden Tag Zeit an der frischen Luft – zum Beispiel führe ich viele Telefongespräche im Freien, das wirkt sich positiv auf meine Stimmung aus.
Mit dem richtigen Redaktionssystem können Redakteur:innen unabhängig vom Standort neue Storys produzieren, redigieren, publizieren und in alle angeschlossenen Kanäle ausspielen.
Mehr zum Thema: It’s now or never to expand remote work in newsrooms, The future of journalism is still remote
Publisher müssen in Tools und Top-Talente investieren
Rasmus Kleis Nielsen, Direktor von Reuters Institute for the Study of Journalism und Professor für politische Kommunikation an der Oxford University, fordert Publisher auf, mehr in Tools und Talente zu investieren. Laut Nielsen hat die Nachrichtenbranche Investitionen in beide Bereiche jahrzehntelang vernachlässigt. Die Medienbranche habe dabei ihre lange Tradition als Technologie-Innovator in Print und Rundfunk aufgegeben und sich damit abgefunden, neue Technologien von Drittanbietern zu übernehmen.
“Medienunternehmen haben auch ihre Mitarbeiter:innen als selbstverständlich betrachtet und wenig in Weiterbildung und berufliche Entwicklung investiert,” erklärt er. “Sie haben verdrängt, dass sie exzellente Talente aus den Bereichen Datenanalyse, Produkt und Technologie benötigen, um wettbewerbsfähig zu sein – Talente, die sie oft nur mit Mühe gewinnen und halten können. Da sie so wenig in ihre Zukunft investiert haben, muss ein Großteil der alten Nachrichtenbranche nun feststellen, dass sie vielleicht gar keine hat.”
Laut Nielsen wird die Kluft zwischen den Nachrichtenunternehmen, die ernsthafte Investitionen in Tools und Talente tätigen und denen, die das nicht tun, im Jahr 2022 noch größer. “Das wird sich besonders deutlich durch eine starke ‘Winner-takes-most’-Dynamik auf allen Ebenen der Medienwirtschaft zeigen”, so Nielsen.
Eine effiziente IT-Publishing-Infrastruktur macht dabei Ressourcen für Weiterentwicklung und neue Produkte frei, wie etwa die erfolgreiche Zusammenarbeit von Forward Publishing mit dem Berliner Verlag zeigt.
Mehr zum Thema: Invest in tools and talent, and newsrooms can finish the job
Verknüpfung von Inhalt und Format wird immer wichtiger
Mario García, CEO von García Media, betont die Verbindung zwischen Content und Format. Er schreibt, dass Journalist:innen ihre Aufgabe traditionell in der Erstellung von Inhalten sehen. Wie diese Inhalte dann weiterverarbeitet werden, ist in der Regel ein Prozess, an dem andere Mitglieder eines Redaktionsteams beteiligt sind: Redakteur:innen, Designer:innen und andere Produktionsmitarbeitende.
“Ein Journalist muss heute technologische Prozesse verstehen, Informationen aktuell halten und Storys auf verschiedenen Endgeräten ansprechend erzählen,“ erklärt García. „Leser:innen, die Nachrichten und Reportagen auf ihren Mobiltelefonen konsumieren, schätzen Geschichten, in denen Erzählung und visuelle Elemente in einem natürlichen Fluss zusammenkommen.” Um das zu erreichen, müssten Journalisten ihre Story in den Dienst des jeweiligen Formats stellen und konzeptionell zunächst überlegen, wie sie auf den Bildschirmen von Mobiltelefonen wirkt, um sie dann anschließend auch für größere Formate (etwa Print) anzupassen.
“Wir sehen bereits, dass die Relevanz von Inhalten, das Format und die Präsentation zu den wichtigsten Faktoren für effektives visuelles Storytelling werden. Im Jahr 2022 sollte das Zusammenspiel von Inhalt und Format im Mittelpunkt der strategischen Diskussionen in jeder Redaktion stehen,” empfiehlt García.
Mehr zum Thema: Linking content and format will be key
Feiert Print ein (lokales) Comeback?
Laut Amara Aguilar, Professorin für berufliche Praxis an der USC Annenberg School for Communication and Journalism, erlebt Print in diesem Jahr ein Comeback. Als sie vor ein paar Monaten einen Kurs Konzeption und Umsetzung von Print-Magazinen vorschlug, war sie über die positive Resonanz überrascht. Kern des Workshops waren lokale Community-Zeitschriften, die Geschichten von Straßenhändlern, Märkten, den besten Chilaquiles in Los Angeles, Lebensmittelbanken und dem San Pedro Fish Market erzählen.
“Es ging aber nicht nur darum zu lernen, wie man ein Print-Magazin erstellt. Vor allem der Community-Gedanke stand dabei im Vordergrund,” erklärt Aguilar. “Als Teil des Projekts, das finanziell von der Online News Association und redaktionell von L.A. Taco unterstützt wurde, haben wir auf Facebook Veranstaltungen zur Beteiligung der Community beworben und umgesetzt. Wir haben die Menschen gebeten, uns Ideen und Inhalte zu schicken. Live-Events und Interviews mit Straßenhändlern haben wir live auf Facebook gestreamt oder Kochshows mit Rezepten aus der Community durchgeführt. Die digitalen Inhalte wurden mit QR-Codes in die Print-Magazine integriert. Die gedruckte und die digitale Welt überschnitten sich dabei auf wunderbare Weise,” erklärt Aguilar.
Die angehenden Journalist:innen lernten, wie man ein Magazin erstellt, sich in der Gemeinschaft engagiert, Inhalte für soziale Medien produziert, eine Live-Sendung durchführt und Veranstaltungen in der Gemeinschaft plant. “Das ist es, was zeitgemäßen Journalismus ausmacht,” findet Aguilar. Im Jahr 2022 wird es ihrer Ansicht nach deshalb wieder mehr Print-Zeitschriften für lokale Communitys geben. Sie seien ein effektiver Weg, um Nachrichten zugänglicher zu machen, allen Teilen der Gesellschaft eine Stimme zu geben und mit lokalen Communitys zusammenzuarbeiten, um gemeinsam Nachrichten zu machen.
Mehr zum Thema: Print makes a comeback, but not in the way you think
Pandemie & Journalismus: Hilfreiche Formate für lokale Communitys
Auch S. Mitra Kalita, Mitbegründerin und CEO von URL Media und Herausgeberin von Epicenter NYC, sieht durch die Pandemie eine neue Art Journalismus auf dem Vormarsch, der stärker im Dienst der Leser:innen steht. Sie versucht mit ihrem Newsletter Epicenter, reale Probleme der New Yorker zu lösen und Informationen in hilfreichen und praktischen Formaten zu liefern. Im Pandemie-Journalismus stehe der Community-Gedanke im Vordergrund. Sie prognostiziert, dass er die Nachrichtenbranche noch weit über das Jahr 2022 hinaus begleiten wird.
Dazu gehört auch, dass vor allem kleine Medienhäuser stärker zusammenarbeiten und Netzwerke bilden, um Inhalte und Ressourcen zu teilen. Manchmal bestehe gegenseitige Hilfe im Journalismus auch einfach darin, sich mit anderen Mitgliedern einer Community zu solidarisieren. Dabei seien Netzwerke nicht nur auf Journalisten beschränkt, sondern umfassen Organisatoren, Künstler, Lehrer, Bibliothekare, Studenten und viele mehr. Weiterhin sei eine neue Herangehensweise an Storys zu beobachten: “Als Reporter vor Ort fragte ich vorher instinktiv: Was ist passiert?“, erzählt Kalita. „In den vergangenen Monaten musste ich mich und unsere Reporter jedoch umschulen. Jetzt fragen wir zuerst: ‘Wie können wir helfen?‘, ‘Was möchten Sie den Menschen mitteilen?‘, ‘Was brauchen Sie?‘"
Besonders während einer Pandemie bestehe das Bedürfnis nach Gemeinschaft und Zugehörigkeit. Vor allem Medien, die geografisch oder identitätsbezogen sind, können in lokalen Gemeinschaften als Bindeglied dienen und das Publikum durch gemeinsame Interessen und Ziele verbinden.
Mehr zu diesem Thema: In 2022, it’s all about community
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