Die Lehren aus dem European Publishing Congress 2022

Von unabhängigem Journalismus, Vertrauen, Abo-Tipps, Künstlicher Intelligenz und dem Unterschied zwischen "datenorientiert" und "datengetrieben". 

image_wrapper
Funke-Verlegerin Julia Becker hält die Keynote auf dem EPC 2022.
Medienfachverlag Oberauer/APA-Fotoservice/Schedl, Forward Publishing

Am 20. Juni 2022 fand der European Publishing Congress in Wien statt. Vertreter:innen verschiedener Verlage präsentierten Erkenntnisse und Erfolge der journalistischen Arbeit in den Redaktionen.

Die interessanteste Erkenntnis des Tages: Sämtliche Verlage suchen weiter nach Lösungen für aktuelle Herausforderungen, sei es die Konversion von Lesenden zu Abonnent:innen oder der sinnvolle Einsatz von Künstlicher Intelligenz.

Während der eine Verlag sagt, seine KI-Lösung könne Artikel schon vor der Veröffentlichung perfekt für die Ausspielung einordnen, sehen andere Verlage das als bislang unmöglich an. Auch die Strategien bei der Nutzung von KI sind unterschiedlich: Während etwa Verlegerin Julia Becker die Getriebenheit der Redaktionen durch Daten und KI kritisiert, arbeiten etwa bei Ippen Digital dutzende Algorithmen an der perfekten Datenauswertung und Distribution – bis hin zu personalisierten Layouts.

Immerhin besteht breite Einigkeit im Nutzen und Zweck unabhängigem Journalismus. Nur durch die vierte Gewalt im Staat könne eine Demokratie wirklich funktionieren.

Nachfolgend fassen wir die wichtigsten Erkenntnisse vom EPC 2022 zusammen.

Investition in die Demokratie durch Verlag und Staat

In der Keynote stellt Verlegerin Julia Becker (Funke) klar, dass Aufklärung nur durch unabhängige Berichterstattung erfolgen kann. Dabei sei „Maß und Mitte“ entscheidend, anders als in weiten Teilen von Social Media, die zu einem „Kreischraum“ undifferenzierter Meinungsmache verkommen seien.

In ihrem Plädoyer für idealistischen Journalismus skizziert sie eine wachsende Gefahr der Boulevardisierung des Journalismus, indem Daten die Redaktionen vor sich hertreiben. „Datenorientiert arbeiten ist sinnvoll, datengetrieben ganz bestimmt nicht,“ macht Becker den feinen Unterschied klar. Das hohe Vertrauen in die Glaubwürdigkeit von Zeitungen in Deutschland werde dadurch gefährdet – und diese „wichtigste Währung der Verlagsbranche“ dürfe nicht verspielt werden. GerBen van’t Hek von Mediahuis bestätigt diesen Punkt später: „When you lose trust, you lose the game.“

Publisher-Briefing erhalten


Der Newsletter für Vordenker der Verlagsbranche.

Subscribe Now

In diesem Zusammenhang sei es besonders wichtig, regionale journalistische Angebote zu stärken und die Fehler der Vergangenheit, etwa  Einsparungen bei Lokalzeitungen, nicht zu wiederholen. Aber auch der Staat könne mehr in die Demokratie investieren: „Wer es schafft, innerhalb weniger Wochen Steuern auf klimaschädliche Treibstoffe zu reduzieren und tatenlos dabei zuschaut, wie Ölkonzerne Teile der Steuerreduzierung als Gewinn abschöpfen, wird es wohl auch hinbekommen, journalistische Produkte als Treibstoff der Demokratie geringer zu besteuern“, forderte die Funke-Verlegerin.

Knackpunkt Künstliche Intelligenz

„Der Nutzen von KI im Publishing lässt sich nicht wegdiskutieren“, stellt Marcus Franz von Ippen Digital fest. Sein Verlag setzt stark auf die unterstützende Funktion maschinellen Lernens. Dazu teste Ippen teilweise bis zu 30 verschiedene Algorithmen in den unterschiedlichsten Bereichen, etwa bei personalisierten Artikelempfehlungen oder sogar für das jeweils beste Layout. Er rät Verlagen, sich nicht vor Technologie zu verschließen und Innovationen zu wagen.

Auch die FAZ setzt auf KI, allerdings als rein optionale Unterstützung der Entscheidungsfindung von Redakteur:innen. Ziel sei es, mehr Relevanz für die Leserschaft durch Personalisierung herzustellen und Abo-Kündigungen etwa durch gezielte Ansprache und Verbesserung des Angebots zu verhindern. Die FAZ möchte unter anderem dadurch von derzeit 200.000 auf 300.000 Abonnent:innen bis 2025 wachsen.

"Creating Digital First"

Auf Daten setzt auch das niederländische Mediahuis. Die angebundenen Zeitungen haben einen radikalen Schnitt hinter sich – nämlich weg von (inter)nationaler Berichterstattung zu ausschließlich regionalen und lokalen Nachrichten. Warum? „Die Daten sagten, die Leserschaft möchte nur lokale News von uns“, erzählt GerBen van’t Hek von Mediahuis. Der Gedanke dahinter: "Wir spielen das Spiel, von dem wir denken, dass wir es gewinnen können." Im stark umkämpften Newspublishing-Markt kann der Fokus auf eine lokale Zielgruppe ein Erfolgsrezept sein.

Die Zeitungen sind dabei das Ergebnis der Arbeit des Online-Newsrooms – nicht umgekehrt. Mediahuis trifft hier eine wichtige Unterscheidung: Es komme nicht darauf an, „Digital First“ zu veröffentlichen, sondern die Erstellung, die Kreation muss bereits „Digital First“ erfolgen.

Jetzt Termin vereinbaren


Wir zeigen Ihnen die Forward Publishing Cloud-Infrastruktur für Verlage gern.

Eine Digitalmentalität erfordert Lernwillen

Lernen anhand von Daten ist auch Kernthema bei ZEIT ONLINE, die ein starkes Abo-Wachstum verzeichnet (siehe auch Wie ZEIT ONLINE Probeabonnenten in zahlende Leser:innen konvertiert). Chefredakteur Jochen Wegner und Christian Röpke (Chief Digital Officer) stellen 22 Lehren vor, die sie aus der Arbeit der letzten zwei Jahre aus dem Abo-Geschäft ziehen konnten. Hier eine Auswahl:

-     There is no such thing as a paywall 
Die Paywall ist dynamisch, ändert sich ständig – etwa werden manche Artikel erst mit der Bezahlschranke versehen, wenn sie bereits gut ankommen.

-     We do not know what you want to read next summer 
Voraussagen, ob ein Text für das Abo taugt oder nicht, sind nicht möglich. Schon kleinste Veränderungen an der Headline können das Subscriber-Verhalten komplett verändern.

-     Play!
Ausprobieren und Experimentieren sind besonders wichtig.

-     It’s live, stupid! 
Man kann sehr gut auf das Verhalten der Leserschaft reagieren (etwa durch Schließen oder Öffnen der Paywall), aber sehr schlecht prognostizieren.

-     You shall not relinquish acquisition to acquisition managers
Auch Journalisten müssen sich dafür interessieren, wie sich ihre Arbeit „verkauft“.

-     Thou shalt not rank! 
Nicht der eine Text, der 1.000 Abonnements gesammelt hat, ist wichtig, sondern die gesamte Mischung an Inhalten.

-     Culture! Politics! Science! 
Thesen darüber, welche Themen funktionieren oder nicht, sollte man vielleicht besser ignorieren. Hervorragend konvertierende Artikel kommen bei ZEIT Online immer wieder aus sogenannten „Nischenthemen“.

-     Forget Big Data and Small Data. Actionable Data is our buzzword. 
Aus welchen Daten können Redaktionen wirklich passende Handlungen ableiten?

„Digital ist nicht einfach ein weiter Kanal“

Auf Daten, die verwertbar sind, gehen auch Manfred Sauerer (Mittelbayerische Zeitung) und Christoph Mayer (Schickler) ein, die das Datenprojekt DRIVE vorstellen. 13 Regionalverlage haben sich zu diesem bislang einzigartigen Projekt zusammengetan, um datengestützte Einsichten über Lesende und ihr Verhalten zu gewinnen.

Der Newsroom brauche Antworten, die „actionable“, also verwertbar sind, heißt es dazu auf dem EPC 2022. „Digital“ sei eben nicht einfach ein zusätzlicher Kanal, sondern ein eigenes Medium mit verschiedenen Mechaniken auf unterschiedlichen Ebenen. Eine der Lehren daraus: 90 Prozent der Print-Inhalte funktionieren nicht für Digital. Und: Den gleichen Inhalt jeder Leserin und jedem Leser auszuspielen, funktioniert ebenfalls nicht.

Mehr zum Datenprojekt erfahrt ihr im DRIVE-Whitepaper.

---

Forward Publishing bietet Verlagen eine moderne und flexible Publishing-Infrastruktur aus der Cloud: aktuell, effizient, kollaborativ. Erfahren Sie hier mehr zu Forward Publishing oder sprechen Sie uns per E-Mail oder über LinkedIn an.